Das Stiefkind unserer Seele

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Traurigkeit, das Stiefkind unserer Seele. Die Schattenseite unseres Daseins. Jenes Kind, das wir auf gar keinen Fall wahrnehmen möchten. Tut es doch so unendlich weh, wenn man so tiefe Traurigkeit ganz tief in sich fühlt. Und dann versuchen wir sie mit aller Kraft weg zu drücken. Meistens überfällt sie uns zu den denkbar ungünstigsten Augenblicken.

Mitten im Leben, umgeben von Menschen, die von uns zu wissen glauben, was für ein wundervolles Leben wir doch hätten. Und da braucht man ja auf keinen Fall traurig sein.

Aber was soll man denn tun, wenn sie plötzlich da ist, dir die Tränen in die Augen treibt und du im ersten Moment gar nicht weißt, was jetzt los ist. Wo kommt sie her? Was will sie mir zeigen? Welche Botschaft hat sie für mich?

Aber soweit lassen wir es meistens ja gar nicht kommen. Dieses Drücken auf der Brust, dieses Atemlos werden, diese unendliche tiefe, schmerzvolle Seite von uns. Wir wollen sie nicht. Niemand kann das verstehen. Wie sollen wir erklären, dass wir uns am liebsten unter der Decke verkriechen wollen, und gar nicht erst vor die Tür gehen wollen. Und schon gar nicht die Gründe hinter der Traurigkeit anschauen wollen. Man soll ja nicht kostbare Tage unseres Lebens mit Traurigkeit verschwenden.

Und doch möchte unsere Seele auch diese Seite leben. Ihren Raum bekommen, Platz und Aufmerksamkeit bekommen. Doch wenn diese Traurigkeit uns mit einer Intensität überfällt, dass wir glauben, danach nie wieder lachen zu können, dann stellt sich sofort der Abwehrmechanismus ein. Dein Verstand hat sofort 1000 Gründe parat, warum du jetzt auf keinen Fall dieser Traurigkeit deine ganze Aufmerksamkeit schenken sollst. Meistens funktioniert das sogar, und wir reißen uns zusammen, und übergehen dieses Gefühl und drücken es buchstäblich in den hintersten Winkel unseres Herzens, verschließen die Tür ganz fest, und versuchen es einfach zu vergessen.

Doch was heißt hier vergessen. Das gelingt uns, solange wir das Herz verschlossen halten. Doch wir wollen ja auch wieder Freude und Liebe spüren. Tja und dazu muss man sein Herz öffnen. Und um die Traurigkeit aber nicht zu fühlen, erzeugen wir einen grandiosen Widerstand, der dafür sorgt, dass die Traurigkeit keine Chance hat. So und jetzt könnt ihr euch vorstellen, wo unsere Energie hingeht. Richtig: In den Widerstand. Und wenn wir uns der Traurigkeit eine längere Zeit nicht stellen, dann beginnt sie sich ganz tief im Herzen zu wehren. Sie fordert ihren Platz ein und wird größer und größer. Und sie wird wütend, denn warum darf sie nicht da sein, warum darf sie sich nicht zeigen.

Die Traurigkeit will mit all den anderen Gefühlen gleich gestellt werden. Sie will angenommen und geliebt werden. Und wenn sie sich gleichberechtigt fühlt, dann hält sie sich auch nicht so lange auf bei uns. Sie zeigt sich, teilt uns mit, was wir in unserem Herzen vermissen. Was wir nicht gefühlt haben. Was wir nicht getan haben.

Und wenn wir dann nach Monaten oder Jahren endlich damit beginnen, unsere Seele aufzuräumen, dann stellen wir fest, wie weh es damals getan hat. Dieses Ereignis vor gefühlten 100 Jahren, als wir einen lieben Menschen verloren haben, als uns die Liebe unseres Lebens mitteilte, dass jetzt Schluss ist, als wir erfahren haben, dass Freundschaft manchmal nicht für immer ist.

Als wir für wen auch immer alles gegeben haben, um dann zu erfahren, dass dieses Geschenk bei unserem Gegenüber erst gar nicht angekommen ist. Dann bohrt sich mal ein noch tieferer Schmerz ins uns, und fordert nun seine Anerkennung, seinen Platz in uns, um uns letztendlich zu helfen, wieder heil zu werden.

Doch wäre es nicht weit aus einfacher, diese Traurigkeit gleich anzunehmen? Sie liebevoll in den Arm zu nehmen, und ihr Raum und Platz geben. Vielleicht lässt sie sich dann ja auch viel einfacher aus der Welt schaffen, als nach Jahren. Vor allem, wenn du dann nach Jahren nicht wirklich mehr die Möglichkeit hast, eine andere Entscheidung zu treffen.

Aber wer von uns ist schon so mutig und gesteht sich ein, heute einen nicht so tollen Tag zu haben? Wer von uns legt sein Herz offen da und wagt den Schritt voraus? Warum darf ich nicht zeigen, wenn mich jemand tief berührt? Warum darf ich mich nicht trösten lassen, wenn meine Seele blutet? Wenn ich enttäuscht bin und ausgebrannt, und einfach mal schwach sein möchte und mich einfach nur in den Arm nehmen lassen möchte. Warum stehen wir nicht endlich zu uns selber? Ich bin der Mensch, den du hier siehst. Lustig, motiviert, charmant, liebevoll, aber eben auch traurig, wütend, schwach, ausgebrannt.

Was macht es denn schon, wenn man nicht immer taff und cool ist? Sondern auch mal klein und schwach und leer. Warum immer alles mit sich selber ausmachen? Warum nicht Hilfe annehmen, und diese dunklen Stunden gemeinsam überstehen und durchleben?

Wenn wir diesen Mut aufbringen und endlich zu uns stehen, genauso wie wir sind, dann können wir diese Traurigkeit auch viel schneller ziehen lassen. Sie hat ihren Part erfüllt und kann somit gehen. Und dann geht auch wieder die Sonne auf. Dann schöpfen wir neue Kraft und neuen Lebenswillen. Dann gibt es einen neuen Tag voller Glück und Zuversicht.

Und dann trocknen Tränen auch schnell. Lasst uns unser Herz nicht mit Traurigkeit anfüllen, bis es keine Luft mehr kriegt, sondern jede Traurigkeit da sein lassen, ganz lieb zu uns selber sein, und dann wieder eine Sprosse weiter auf unserer Lebensleiter. Und sollt ihr jetzt gerade auch eine gewisse Traurigkeit spüren: Dann nehmt sie liebevoll in euer Herz, und hört in euch. Ihr werdet verstehen, was sie euch sagt und dann wird sie auch schnell weiterziehen.

 

 

© Claudia Müllner, 2014 - Meine Texte dürfen für private Zwecke gerne geteilt werden. Für gewerbsmäßige Nutzung bedarf es einer vorherigen schriftlichen Kontaktaufnahme mit mir und meiner schriftlichen Zustimmung.

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